Ulm: Die Smartcircular Bridge am Lautenberg

Eines der letzten Kontroversen aus Ulm ist wohl die neue Brücke über die Blau am Lautenberg in der Nähe des Münsterplatzes.
Die Stadt neigte in der Vergangenheit schon zu verschiedenen Schildbürgerstreichen, beispielsweise die Betonwüsten bei der Neugestaltung des Bahnhofvorplatzes und der Sedelhöfe inklusive dem Versenken des Denkmals zum Geburtshauses von Albert Einstein.
Was bei der Berichterstattung über die Brücke aber vergessen wurde, ist dass es sich um ein Projekt mit der Verwendung eines nachhaltigen Baustoffes, Flachs, handelt. Flachs ist eine der ältesten Kulturpflanzen, die wir in Mitteleuropa haben. Und schon sehr früh haben die Menschen begonnen mit den Fasern Schnüre, Netze oder Gewebe daraus herzustellen. Später irgendwann kamen Seile und Kleidung dazu und nun wird seit circa 5 Jahren daran geforscht ob und wie Flachs als nachhaltiger Baustoff verwendet werden kann.

Teil dieser Forschung ist das EU Projekt „Smart Circular Bridge for a circular built environment“ in dessen Rahmen drei Brücken mit dem neuen Material aus Flachs entstehen sollen. Zwei der drei Brücken wurden bereits eingeweiht:

  • Die „Rijk Blok Bridge“ in Almere (Niederlande)
  • Die Ulmer Smartcircular Bridge

Zum Brückenbau in den Niederlande gibt es bei dezeen.com einige Fotos und Beschreibungen.
Die Medien in Ulm und in der Region haben sich vor allem auf die höheren Kosten der Brücke gestürzt. Im Umlauf ist dabei die Zahl 880.000€, wobei die Stadt Ulm einen Betrag von 680.000€ ausweist.
Die Stadt Ulm hat zum Vergleich auf der Webseite auch die Kosten für eine konventionelle Stahlbrücke mit Holzbelag angegeben mit gesamt 530.000€. Dazu sollte man wissen, dass in diese Summe die notwendige Sanierung des Unterbaus mit 180.000€ bereits addiert wurde und die 530.000€ in etwa die Gesamtsumme der neuen Brücke mit der Sanierung des Unterbaus darstellt.

Die mit Harz ummantelten Flachsstreben an der Seite der Brücke
Der Weg auf der Brücke mit dem sichtbaren Bodenbelag aus einem Verbundwerkstoff mit Flachsfasern.

Für die Brücke in Almere steht ein Dashboard mit den täglichen Daten zur Verfügung: https://dashboard.smartcircularbridge.eu/d/almere/almere-bridge
Im gleichen Dashboard scheint die Ulmer Brücke leider nicht integriert worden zu sein, oder zumindest sind diese Daten nicht öffentlich zugänglich.
Dafür aber nutzt das Stuttgarter Atelier für auditive Kommunikation „Klangerfinder“ die Daten der 42 verbauten Sensoren um Klänge in Abhängigkeit von dem Zustand, Nutzung und der Umwelteinflüsse hörbar zu machen: https://www.flachsbruecke-ulm.de/

Am 07.02.2025 wurde die neue Brücke eröffnet. Das Design aus den Flachssträngen ist optisch ansprechend und grundsätzlich darf man es durchaus gutheißen, wenn sich Ulm offen gegenüber nachhaltige Lösungsansätze und Entwicklungen zeigt. Immerhin ist man hier doch so stolz auf Albert Einstein, Robert Bosch, Conrad Dietrich Magirus oder Albrecht Ludwig Berblinger, um nur ein paar von vielen großen Denkern aus Ulm und Umgebung zu nennen.
Neue Ideen zu verteufeln steht Ulm nicht.

Aus meiner Sicht ist das ein cooles Projekt, das Ulm ein innovatives Bauwerk mit einem einzigartigen Baustoff beschert hat. Etwas mehr Transparenz und Information an die Ulmer Bevölkerung über das Projekt, den Baustoff und die Besonderheiten hätte ich mir aber eher gewünscht. Also bereits während dem Bau der Brücke und nicht erst zur Einweihung der Brücke.

Die Infotafel zur Brücke

Infotafel der Brücke

Die Brücke im Detail

Länge: 9 Meter
Breite: 5,34 Meter
Höhe des Brückenkörpers: 0,5 Meter
Gewicht: 5 Tonnen

Brückenmaterial: Bio-Verbundwerkstoff aus Flachsfasermatten und bio-basiertem Epoxidharz, 100% recycelter PET-Schaum
Geländer: Flachsfaserstränge ummantelt mit Epoxidharz, Pfeiler aus recyceltem Bongossi-Holz
Handlauf: Recyceltes Bongossi-Holz

Bauen mit Flachsfasern

Ein traditionelles Material in neuem Gewand: Seit Jahr-tausenden nutzen Menschen Flachs zur Fertigung von robusten Kleidungsstücken, Säcken oder Schiffstauen. Heute erlebt die Pflanze ihre „zweite Blüte“ und könnte zum Baustoff der Zukunft werden. Im Rahmen des EU-Projekts „Smart Circular Bridge“ wurden zwei Brücken mit dem nachwachsenden Rohstoff gebaut: in Almere (NL) und hier in Ulm. Die Brücke in Ulm ist die erste ihrer Art, die nicht nur Fußgänger und Radfahrer, sondern auch Autos trägt.

Hochleistungsbaustoff aus der Natur

Die tragenden Elemente der Brücke bestehen aus Flachsfasern und bio-basiertem Epoxidharz. Dieser Verbundwerkstoff ist extrem stabil und sechsmal leichter als Stahl.

Klimaschutz und Kreislaufwirtschaft


In Zeiten von Klimawandel und schwindenden Rohstoffen verringern bio-basierte Verbundwerkstoffe den CO₂-Ausstoß der Baubranche. Flachs bietet zudem enormes Potenzial für eine bio-basierte Kreislaufwirt-schaft. Das Ziel ist die möglichst vollständige Wiederverwendbarkeit des Baumaterials. Das von Interreg North-West Europe geförderte Forschungsprojekt vereint die EU-Strategien für Klimaschutz, Kreislauf-wirtschaft und bio-basierte Werkstoffe

Ulm trägt Verantwortung für den Klimaschutz

Mit dem Bau der „Smart Circular Bridge“ geht die Stadt Ulm neue Wege in Richtung kreislaufgerechtes Bauen. Damit wird sie Teil einer weltweiten Bewegung zur Weiterentwicklung der Kreislaufwirtschaft sowie des Klima- und Ressourcenschutzes.

Materialforschung für die Zukunft

Im Brückenkörper sind 42 Sensoren verbaut. Sie liefern in Echtzeit Daten zu Temperatur, Belastung und Verformung, die mithilfe von künstlicher Intelligenz (KI) ausgewertet werden. So gewinnen die Forschen-den Erkenntnisse über Material und Konstruktion, auch für alle kommenden Projekte.

Bauwerke erfahrbar machen

Die Sound-Agentur KLANGERFINDER bringt die Forschung zum Klingen: Die fortlaufend gesammelten Daten werden mit einem Computerprogramm in Klänge übersetzt. So entsteht aus der Interaktion von Mensch, Umwelt und Brücke in Echtzeit eine eigene Musik, und das wegweisende Bauwerk wird auch zum klanglichen Erlebnis.

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Kommentare

2 Antworten zu „Ulm: Die Smartcircular Bridge am Lautenberg“

  1. Ach wie spannend! Flachs finde ich super interessant, von der Brücke in den Niederlanden hatte ich gehört. – Ulm hat schon so einiges zu bieten… Wird Zeit, dass ich mal wieder hinfahre.

    1. Ja, die Veröffentlichungen über den neuen Baustoff und dem Projekt über die Brücke in Almere habe ich auch gefunden. Das hätte ich mir in ähnlichem Umfang und Ausführlichkeit auch für Ulm gewünscht, aber damit hat sich die lokale Presse leider schwer getan.

Neuveröffentlichungen

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